So bitter es klingt, aber gerade die Coronakrise zeigt auf, dass es uns zu gut geht. Uns geht es nämlich so gut – und schon so lange, dass wir mit einer Krise gar nicht mehr umgehen können.
Bei allen schrecklichen Zahlen, die wegen des Virus auf Deutschland zutreffen, hat es uns doch längst nicht so schlimm erwischt, wie andere Länder mit vergleichbarer Struktur und Größe.
Und was passiert? Es wird gemeckert. Es ist zwar nur eine Minderheit, aber sie meckert.
Die einen meckern über Einschränkungen der Grundrechte. Dass man nicht mehr in Gruppen feiern kann, sich nicht mehr auf Plätzen und in Parks treffen, und noch einiges andere. Dass, ohne diese Maßnahmen, wir wohl solche Zahlen und Szenarien wie in Frankreich, Spanien, Italien, GB, in Teilen der USA und in anderen Ländern hätten, wird ausgeblendet.
Es hat sich herausgestellt, dass wir runde 15.000 Intensivbetten zu viel zur Verfügung haben. Statt sich aber zu freuen, dass uns die Pandemie weniger getroffen hat als andere Ländern, wird von einer Fehlplanung gesprochen und die Regierung deshalb kritisiert.
Andere beschweren sich, dass Deutschland zu lange nicht reagiert hat. Man hätte, gleich nach den ersten Zahlen aus China, den Flugverkehr von dort unterbinden sollen. Als ich bei dem Vorwurf den Einwand brachte, dass der erste große Schub Coronaviren wohl aus einem österreichischen Skiort nach Deutschland kam, wurde erwidert, dass die deutsche Regierung dann eben, gleich nach den ersten Zahlen aus China, alle Nachbarländer hätte warnen sollen, sie sollten den Flugverkehr mit China einstellen, und wenn das dann nicht geschehen wäre, hätte man die deutschen Grenzen zu den Nachbarländern, zu Lande, zu Wasser und durch die Luft, abriegeln sollen.
Und das hätte im Grunde schon zum Jahreswechsel 2019/20 stattfinden müssen, und würde wohl noch einige weitere Monate so bleiben. Denn fast vier Monate später stapeln sich die Leichen in einigen Nachbarländer immer noch, und ein Ende ist eigentlich nicht so richtig abzusehen.
Wie weit der Begriff „Nachbarländer“ allerdings reichen sollte, war man nicht bereit zu erklären, auch wenn über Silvester viele Deutsche den Urlaub am Mittelmeer, in der Türkei, an der nordafrikanischen Küste oder sonst wo verbringen.
Da wird der deutschen Regierung versagen vorgeworfen, weil diese, in einer verseuchten Welt, es nicht geschafft hat, Deutschland zu einem glückseligen, coronafreien Ort zu halten.
Man bekommt wirklich das Gefühl, uns geht es zu gut. Seit 1945 (mit direkten Folgen vielleicht auch erst seit 1948) hat es in Deutschland keine wirkliche Krise mehr gegeben. Man kann wohl sagen, außer wenigen Ausnahmen, dass keiner der deutschen Bevölkerung in seinem Leben eine wirkliche gesellschaftlicher Krise erlebt hat.
Etwas, was in den früheren Generationen selbstverständlich war, nämlich, dass im Laufe eines Lebens, sei es Krieg, Epidemien, Hungersnot oder/und Ähnliches passierten, hat keiner erlebt – und weiß nicht, wie damit umzugehen ist.
Die Hamsterkäufe sagen doch schon alles aus, und wir hatten nicht einmal eine Versorgungskrise. Erst die Hamsterkäufe sorgten doch dafür, dass temporär einige Regale leer waren.
Und hätte die deutsche Bevölkerung, die sich doch für so mündig hält, sich an die Verhaltensempfehlungen der Bundesregierung gehalten, hätten wir sicher nicht den Ausbruch der Epidemie verhindern können, aber sicher die Schwere des Ausbruchs verringert. Aber es mussten erst exakte Vorschriften her, damit man sich, teilweise immer noch murrend, den Gegebenheiten anpasste.
Einerseits kann man selbstverständlich froh sein, dass wir, was wirklichen gesellschaftlichen Krisen angeht, entwöhnt sind; aber anderseits stellt sich die Frage, was würde passieren, wenn wir wirklich mal in eine extreme gesellschaftliche Krise schlittern?
Was würde dann passieren, wie würde die Bevölkerung in Deutschland reagieren, wenn eine wirkliche gesellschaftliche Krise, auch mit echten Versorgungsproblemen, auf uns zurollen würde? Da möchte man gar nicht drüber nachdenken, was hier schon heute los wäre, wenn wir in Sachen Coronakrise Zustände wie in Italien oder Spanien hätten.
Ich möchte ja daran nichts ändern, aber trotzdem habe ich das Gefühl, uns geht es zu gut. Denn irgendwann wird eine wirkliche Krise über uns kommen, und es ist davon auszugehen, dass die Gesellschaft dann total überfordert sein wird.
Kennt jemand den Unterschied zwischen einem Optimisten und einem Pessimisten?
Nein? Nun, dann werde ich eine Antwort darauf geben.
Der Optimist behauptet, dass wir in der bestmöglichen Welt leben.
Der Pessimist befürchtet, dass der Optimist recht hat.
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