Viele sind in den letzten Tagen auf die Straße gegangen, um gegen den Lockdown zu protestieren und die eigene Freiheit einzufordern.
Einmal von den Verschwörungstheoretikern abgesehen, die z. B. Bill Gates unterstellen, die WHO und unsere Regierung gekauft zu haben und der angeblich die Welt beherrschen will, nachdem er die Zahl der Weltbevölkerung auf 500 Millionen herabgesetzt hat, und abgesehen von rechten Gruppierungen, die versuchen die Demonstrationen zu vereinnahmen, wobei rechtes Gedankengut und Verschwörungstheorie oft nicht zu unterscheiden sind, sind das ganz normale Bürger, die auf die Straße gehen.
Trotzdem stellt sich die Frage, dreht es sich bei Ihnen wirklich um die Forderung ihrer Grundrechte, oder ist es nur reiner Egoismus.
Wolfgang Kubicki sagte in einer Talkrunde: „Das heißt ja nicht, dass wir nicht vorsichtig sind. ... Wenn jemand Angst hat, soll er eben zu Hause bleiben.“
Und so denken wohl einige von denjenigen, die ihre Freiheit wieder haben wollen.
Aber, haben nicht auch die, die Angst vor dem Virus haben, ein Recht darauf, sich in der Öffentlichkeit, ohne Angst, oder zumindest ohne Angst vor dieser Gefahr, zu bewegen?
Und was wäre, wenn es den Lockdown nicht gegeben hätte? Wir wissen es nicht.
Aber hätte die Regierung das Risiko eingehen sollen, dass wir die gleichen Szenarien wie in Italien, Spanien, Frankreich, Großbritannien, in Teilen der USA, Russland, Brasilien, usw., usw., bekommen hätten?
Kann man sagen, die Regierung hat übertrieben, da wir kein Chaos erlebt haben. „Schaut Euch um, so schlimm ist es doch gar nicht.“
Benehmen einige sich dann nicht wie jemand, der es eilig hat und mit 200 km/h über die Autobahn rast und, als Glatteis vor ihm auf der Straße auftaucht, abbremst, um keinen Unfall zu bauen, dadurch vielleicht 15 Minuten später irgendwo ankommt und sagt:
„Scheiße es ist ja gar kein Unfall passiert, da hätte ich auch mit 200 km/h durchrasen können.“
Und selbst wenn wir es als unser Grundrecht angesehen hätten, bei Glatteis mit 200 km/h zu fahren, stellt sich die Frage, hätten wir es gedurft? Immerhin gefährdet man auch andere; Menschen, die wegen des Glatteises langsam fahren.
Ich kenne auch so einige, die behaupten, das weltweite Verbot des FCKW wäre auch überflüssig gewesen, die vorhergesagte Katastrophe ist nicht eingetroffen. Aber was wäre passiert, wenn das weltweite Verbot nicht 1991 zustande gekommen wäre?
Müssen wir immer erst im Fluss ertrinken, um wirklich zu glauben, dass wir in einem Fluss landen, wenn wir weitergehen; selbst wenn wir bereits am Ufer stehen und andere im Fluss verzweifelt die Arme in die Luft strecken und nach Hilfe rufen?
Darf man auf seine Freiheit pochen, und dabei die Freiheit anderer einschränken (sollen die doch Zuhause bleiben, wenn sie Angst haben), oder die Gesundheit anderer in Gefahr bringen (bei 200 km/h bei Glatteis über die Autobahn rasen). Darf man sich da hinstellen und seine Freiheit einfordern?
Oder wäre es nicht richtig, diese erst einzufordern, wenn die Pandemie vorbei ist, und auch die, die Angst vor dem Virus haben, ohne groß zittern zu müssen, sich in die Öffentlichkeit trauen können? – Ja, wenn – wenn dann die Einschränkungen nicht aufgehoben werden.
Und dann gib es eben noch die, man könnte fast sagen, beruflichen Störer, die ganz bewusst die Gesellschaft spalten wollen, die, die ihre rechte Agenda unter das Volk bringen wollen und auch falsche Angaben über die Demonstrationen machen. Angeblich unverhältnismäßiges Verhalten der Polizei, oder angeblich gäbe es keine Verschwörungstheoretiker oder Rechte, die die Demos vereinnahmen wollen.
Aber es hat sie gegeben, weitläufig. Man wolle keine Impfpflicht (was bei Corona bis jetzt gar kein Thema gewesen war, und das Thema bei den Masern wohl anders gelagert ist). Man muss Bill Gates stoppen der (angeblich) alle Menschen gegen Corona impfen lassen will, der (angeblich) die WHO und unsere Regierung gekauft hat, der (angeblich) die Menschheit auf 500 Millionen Menschen reduzieren will und dann die Weltherrschaft erlangen.
Ich meine, unsere Grundrechte sind wichtig, und wenn die Pandemie bei uns besiegt ist, haben alle Beschränkungen wieder aufzuhören, aber zurzeit halte ich das für gefährlich. Wie sagte letztens eine Politikerin: „Das Virus hält sich nicht an das Grundgesetz.“ Und wenn das Virus sich schon nicht an das Grundgesetz hält, dann sollten zumindest wir uns die Rechte des Grundgesetzes verinnerlichen, und uns dabei auch daran erinnern, dass das Grundgesetz für alle gilt, auch für die, die Angst haben, auch für die Risikogruppen, auch für die Alten in Altenheimen, die auch mal „an die frische Luft“ wollen.
Freiheit hat auch was mit Verantwortung zu tun. Freiheit ohne Verantwortung ist purer Egoismus.
Und „last but not least“ komme ich zu dem angeblich so mündigen Bürger und seinem Sinn für Verantwortung.
Als unsere Regierung noch keine Verbote ausgesprochen hatte, sondern nur Verhaltensempfehlungen, haben sich nur wenige daran gehalten, und nicht wenige haben den Hinweis als Anlass gesehen, sich in Supermärkten um Toilettenpapier, Reis, Nudeln und andere langfristig haltbare Dinge zu prügeln.
Wenn in anderen Ländern (im Wesentlichen in Ostasien), eine Regierung darum bittet, Abstand zu halten und Masken zu tragen, dann hält sich das Volk daran. Unser angeblich so mündiges Volk hat da kläglich versagt.
Und unsere Einschränkungen waren moderat. Spanien hat in den letzten Tagen die Einschränkung für seine Bevölkerung teilweise zurückgenommen. Trotzdem sind die Einschränkungen immer noch höher, als sie bei uns je waren.
Und wer Schweden als Beispiel nimmt, dem sei gesagt, Schweden hat, auf unsere Bevölkerungszahl hochgerechnet, runde 30.000 Tote durch oder mit Corona, ähnlich wie Staaten in Südeuropa, wie Spanien, Italien oder Frankreich. Hätten wir das gewollt? Wäre das zu riskieren gewesen?
Letzte Woche hat man in Berlin ein provisorisches Krankenhaus, das in vier Wochen hochgezogen wurde, eingeweiht. Es steht jetzt leer. Rausgeschmissenes Geld wird da gebrüllt. Vor vier Wochen wusste aber noch niemand, dass wir keine Szenarien wie in Italien, Frankreich, Spanien, GB, NY oder anderen Staaten und Städten bekommen würden. Statt zu meckern, sollten wir froh darüber sein. Es hätte aber auch anders kommen können, wie andere Länder uns gezeigt haben. Dann wären wir froh gewesen, wenn die dortigen zusätzlichen Betten vorhanden gewesen wären.
Meckern, und das berechtigt, können wir, wenn die Pandemie vorbei ist, und unsere Freiheit immer noch eingeschränkt wird. Dann ist es berechtigt – jetzt aber nicht.
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